Viele Flüchtlinge konvertieren nach ihrer Ankunft in Deutschland zum Christentum, nicht immer sind ihre Motive ganz klar. Bund und Kirchen stellt das vor große Herausforderungen. Wie überprüft man einen Glauben?
Von Alexandra Jegers
Als die Polizei ihn holt, ist Javad Farhadi* gerade auf dem Weg nach Hause zu seiner Frau und seinen beiden Söhnen. Die Männer packen ihn, stecken ihn in einen Wagen und bringen ihn zu einem der vielen berüchtigten Gefängnisse von Teheran. 14 Tage verhören sie ihn, bedrohen seine Familie, lassen ihn hungern, schlagen auf ihn ein. Farhadis Verbrechen: Er ist der Leiter einer kleinen christlichen Gemeinde, die sich regelmäßig im Keller seines Hauses zum Gebet trifft – ungetauft, aber erfüllt vom Glauben an einen gütigen Gott. Die Polizisten wollen die Namen der Gemeindemitglieder. Denn im Iran steht auf den Übertritt vom Islam zum christlichen Glauben die Todesstrafe.
Farhadi schweigt. Irgendwann packt ihn die Polizei erneut in einen Wagen, fährt raus aus der Stadt und schlägt am Straßenrand solange auf ihn ein, bis er sich nicht mehr bewegt. Dann fahren die Männer fort. Eine iranische Familie findet den Schwerverletzten und nimmt ihn bei sich auf. Wenige Wochen später flieht er mit einem Boot nach Griechenland, dann nach Italien und schließlich nach Deutschland, wo er in der Berliner Dreieinigkeitskirche Zuflucht findet. Dort lässt er sich am 20. September 2015 taufen.
Tausende Flüchtlinge konvertieren zum Christentum
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Gottesdienst in der Dreieinigkeitskirche in Berlin-Steglitz. Rund 80 Prozent aller Besucher sind Flüchtlinge.
Jahrelang klagten viele Kirchen in Deutschland über Mitgliederschwund, fehlende Einnahmen und die zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft. 2011 rief der frühere Papst Benedigt XVI. sogar eine eigene Vatikan-Behörde zur „Neuevangelisierung“ des Westens ins Leben, um Menschen wieder für das Christentum zu begeistern. Jetzt kommen Flüchtlinge wie Javad Farhadi auf einmal von ganz alleine in die Kirche.
Jedes Jahr bitten Tausende um die Aufnahme ins Christentum. Eine Herausforderung für die Gemeinden: „
Wie vermittelt man die Grundsätze des Glaubens, wenn man nicht dieselbe Sprache spricht?“, fasst Pastor Matthias Linke von der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Berlin-Kreuzberg die Problematik zusammen. Und wie stellt man sicher, dass derjenige, der die Taufe wünscht, es mit seinem Wunsch ernst meint – und nicht aus taktischen Überlegungen handelt, etwa um seine Chancen auf Asyl zu verbessern?
Berührende Glaubensbekenntnisse
Als vor 15 Jahren die ersten Iraner in seiner Gemeinde nach der Taufe fragten, hat sich Linke genau dieselben Fragen gestellt. Inzwischen sind ein Viertel der 130 Mitglieder seiner Gemeinde Flüchtlinge – und der Pastor hat seine ganz eigenen Antworten gefunden. Jeder Taufbewerber muss einen mehrwöchigen Kurs absolvieren und sich anschließend vor der versammelten Gemeinde mit eigenen Worten zu seinem Glauben bekennen. „Spätestens dort fällt auf, wenn ein Flüchtling nur auf Asyl aus ist“, sagt Linke. Doch das sei in den letzten Jahren praktisch nie vorgekommen. Die persönlichen Bekenntnisse seiner Täuflinge berühren ihn auch nach 15 Jahren immer wieder aufs Neue.
Warum Flüchtlinge an Gott glauben
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“Was mich die ganze Zeit hier unterstützt, ist der Glaube an Jesus.” | “All of that is positive energy” |
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Pfarrer Gottfried Martens von der Dreieinigkeitskirche in Berlin-Steglitz, wo Farhadi sich hat taufen lassen, geht bei der Taufvorbereitung noch einen Schritt weiter. Am Ende seines Kurses steht eine mündliche Prüfung: Wer sich von ihm taufen lassen möchte, muss unter anderem wissen, warum die heilige Kommunion empfangen wird, was für ein Geschenk man mit der Taufe bekommt und was Christus für ihn getan hat. „Es geht um die fundamentalen Grundsätze des Christentums“, sagt Martens.
Manche fragen den Pfarrer gleich nach dem ersten Gottesdienst nach der Taufe. Da achtet der Pfarrer dann ganz besonders auf die Motivation der Flüchtlinge. „Wenn ich nicht von der Aufrichtigkeit ihrer Entscheidung für den christlichen Glauben überzeugt bin, sage ich ihnen deutlich, dass ich sie jetzt noch nicht taufen kann, sie aber herzlich eingeladen sind, noch einmal am Taufkurs teilzunehmen“, sagt Martens. 20 Prozent aller Taufbewerber lehnt er ab.
Viele Christen werden noch immer verfolgt
„Tatsächlich spielt die Taufe alleine beim Asylverfahren keine Rolle“, sagt Bernd Mesovic, Leiter der Abteilung für Rechtspolitik des Verbands „Pro Asyl“. Im Verfahren werde untersucht, welchen Risiken die Person bei einer Rückkehr in ihr Heimatland ausgesetzt ist. Der Glaube an Jesus spiele nur dann eine Rolle, wenn aufgrund dessen von einer besonderen Gefährdung des Antragsteller ausgegangen werden muss. „Das ist häufig der Fall”, sagt Mesovic. Denn Christen werden noch immer in vielen muslimischen Ländern verfolgt, wie der Weltverfolgungsindex des überkonfessionellen christlichen Hilfswerks „Open Doors“ zeigt:
Quelle: Open Doors, Weltverfolgungsindex 2017
Damit Asyl aufgrund des christlichen Glaubens gewährt werden kann, muss der Antragsteller allerdings im Gespräch mit den Beamten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) glaubhaft machen, dass er seinen Glauben bei einer Rückkehr in sein Heimatland öffentlich ausüben wird. Doch jeder lebt seine Religion anders. „Wer bin ich, dass ich bewerten kann, ob eine Person aufrichtig glaubt?“, sagt Pastor Linke, der eine Taufe zwar schon einmal aufgeschoben – aber noch nie einem Täufling verweigert hat. Was schon Geistlichen wie ihm schwer fällt, sorgt in deutschen Gerichtssälen regelmäßig für skurrile Szenen, wenn Flüchtlinge Beamte in „Glaubensprüfungen“ von der Echtheit ihres Glaubens überzeugen müssen.
Das wollte das BAMF von Flüchtlingen wissen
Fragen wie diese machen Pfarrer Martens wütend. Den Glauben eines Menschen zu prüfen sei Aufgabe der Kirche, sagt er, nicht der Ministerien. Er wähle seine Täuflinge sorgsam aus, nehme sich Monate Zeit dafür. Dass das BAMF sieben Fragen stellt und ihm dann ein Schreiben schickt, dass ihm sagt, dass er seinen Job nicht vernünftig mache, findet er ungerecht. Regelmäßig klagt Martens gegen die Entscheidungen des Ministeriums, tritt sogar als Zeuge vor Gericht auf und beteuert die Aufrichtigkeit des Glaubens seiner Täuflinge. Außerdem schickt er jede Woche zwei bis drei Klagen an die Gerichte – mit Erfolg. Bislang wurde keiner seiner Täuflinge abgeschoben.
Auch Farhadi ist noch hier. Er wohnt mit einem Freund in einer kleinen Wohnung, keine 500 Meter von der Dreieinigkeitskirche entfernt. Jeden Sonntag besucht er den Gottesdienst, jeden Samstag die persische Bibelstunde. Mittlerweile leitet er auch wieder einen kleinen Hauskreis, der sich regelmäßig in den Räumen der Kirche trifft. „Jesus hat mich gerettet“, sagt Farhadi über seine Flucht nach Deutschland. Fragt man ihn nach seiner Familie im Iran, schweigt er einige Sekunden und sagt dann: „Mein größter Traum ist, dass ich meine Frau und meine Söhne nach Deutschland holen kann.” Vor zwei Jahren hat Farhadi den Antrag auf Asyl gestellt. Auf eine Antwort wartet er noch immer.
* Name von der Redaktion geändert