Walter Rothschild ist Rabbiner. Vor kurzem wurde ihm zum zweiten Mal von einer Gemeinde gekündigt. Nun versucht er sich als Kabarettist. Seine Auftritte werfen die Frage auf: Darf man über Religion Witze machen?

von Marc Bädorf

Es ist Montagmorgen, am Abend feiern die Juden Pessach, und Rabbiner Doktor Walter Rothschild,  62 Jahre, steht vor einem mannshohen Spiegel in seinem Schlafzimmer und macht Witze über Auschwitz. „Nun“, sagt er, hebt seine Stimme, bricht ab, blickt einige Sekunden herum im Raum. Sein Blick schweift über das ungemachte Bett, die Koffer, die Bücher, die die Regale bis zur Decke füllen. Dann richtet Rothschild seine Augen wieder auf den Spiegel, atmet tief ein, zieht seine Krawatte hinunter, bis ihre Spitze auf den Bund seiner Hose fällt. „Nun“, beginnt er wieder, schaut hinein in den Spiegel, der im Licht der einfallenden Sonne voll ist von Fingerabdrücken und Staub. Er öffnet seine Handflächen und setzt an: Der KZ-Kommandant.

Walter Rothschild ist Rabbiner, ein liberaler Rabbiner, ein Rabbiner ohne Gemeinde. Vor kurzem ist ihm zum zweiten Mal von einer Gemeinde gekündigt worden, vor einigen Jahren zum ersten Mal – damals auch deshalb, weil er gerne und häufig Witze in unterschiedlicher Qualität über das Judentum erzählt hat.

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Nun, so ganz ohne Gemeinde, versucht Rothschild, als Kabarettist Fuß zu fassen. In seinem Programm macht er Witze über das Judentum, üble Witze bisweilen, und die Frage kommt auf, ob man das überhaupt darf – sich lustig machen über Religion im Allgemeinen und über das Judentum im Speziellen. Der Witz liegt dabei vielleicht schon in seiner Natur: Rothschild wurde in Nordengland geboren, arbeitete als Rabbiner überall auf der Welt.

Rothschild fliegt raus

Dann erhielt er kurz vor der Jahrtausendwende das Angebot eines Zusammenschlusses liberaler jüdischer Gemeinden, als Rabbi in Berlin zu arbeiten. Er nahm es an. Es ging nicht lange gut. Erste Irritationen kamen auf, als er über Monica Lewinsky und Bill Clinton predigte. Es folgten Witze über König David, über Rabbiner, über die Heilige Schrift. Als Rothschild am Neujahrstag 2000 in seiner Predigt zeigen wollte, was man an den folgenden zehn jüdischen Feiertagen der Buße und Reue nicht denken sollte, holte er nacheinander eine Klopapierrolle, Geldscheine und eine Packung Kondome aus seinem Hut. Kurz darauf erreichte ihn die Kündigung.

Nun ist Rothschild zurück in Berlin, wohnt mit seinen drei Töchtern in einer geräumigen Altbauwohnung unmittelbar gegenüber des Ka-De-We, in einem Haus, dessen Einwohner mehrheitlich Juden sind. Sein Geld verdient er inzwischen als Kabarettist, tritt in Hemsbach auf, in Guntersblum und Uelzen.

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Rothschild und das Kabarett

Am Abend findet das Pessach-Fest statt, Rothschild hat Familie und Freunde eingeladen. Er ist gerade vom Einkaufen zurückgekommen, mit schweren Tüten in den Händen die Treppe hoch ins erste Stockwerk gestapft. Rotschild ist ein untersetzter Mann mit einem kräftigen, ergrauten Bart und schlauen Augen.

Im Wohnzimmer herrscht Chaos. Hinter einer handgroßen Menora – dem siebenarmigen Kerzenleuchter, der eines der grundlegenden Symbole des jüdischen Glaubens darstellt – steht eine Flasche mit Putzmitteln. In einer Kiste liegen Gesellschaftsspiele und israelische Flaggen, auf der Lehne des Sofas stehen Kuscheltiere. Durch einen Spalt zwischen den dicken Vorhängen fällt ein Sonnenstrahl ins Wohnzimmer. An der Wand hängen Landkarten von Palästina, eingezeichnet darauf die Eisenbahnstrecken des Gebiets. Rothschilds Tochter kommt aus der Küche, in der sie Vorbereitungen für das Pessach-Fest am Abend trifft.

„Vater“, fragt sie. „Wann kommen die ersten Gäste?“ „Um sieben“, antwortet Rothschild. „Ah, sehr gut, dann gehe ich mal wieder in die Küche.“„Gute Idee“, sagt Rothschild, „da gehören Frauen auch hin.“

Er lacht, schlägt sich mit seinen kleinen, runden Fingern auf die Schenkel, es ist wieder so ein typischer Rothschild-Moment. Rothschild mag das Spiel mit den Klischees, und am liebsten mag er das Spiel mit den Klischees, die er über sich selbst geschaffen hat. “Wenn ich mit etwas unzufrieden bin”, sagt er.  “mache ich Witze. Und dazu gehört natürlich auch, dass ich Witze über Religion mache. Die Leute, die sich eh schon für großartig halten, können keine Witze machen.“

Dann steht er auf, geht einige Schritte durch den Raum, hin zu einer Kommode. Dort schaltet er das Radio an. Er wartet auf ein Interview, das er dem RBB zum Thema Antisemitismus gegeben hat. Mit einer Hand am Laustärkeknopf dreht er sich um. Einen Witz hat er noch:

„Ein Jude kommt in ein Delikatessengeschäft und fragt: ‚Wieviel kostet der Schinken?‘

Draußen zieht ein Gewitter auf, im nächsten Augenblick gib es einen mächtigen Donnerschlag. Der Jude erhebt beschwichtigend seine Augen zum Himmel und sagt: ‚Na, fragen wird man doch noch dürfen?‘

Rothschild lacht, schaut erwartungsvoll hoch, seine Hand liegt immer noch am Radio. Sein Interview ist immer noch nicht gelaufen, aber jetzt ist es Rotschild auch egal. Er geht zurück in sein Schlafzimmer. Er muss noch ein wenig proben.

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Der Humor unterscheidet sich von Religion zu Religion. Drei Verteter ihrer Religion haben uns ihren liebsten Witz erzählt:

Walter Rothschild, Rabbiner, Ohne Gemeinde

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Meho Travljanin, Vorsitzender des Islamischen Kulturzentrums der Bosniaken in Berlin

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Frank Brügger, Pfarrer, Katholische Gemeinde Maria Frieden Berlin

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Die Bibel ist lustig

Hans Martin Dober ist Professor für praktische Theologie an der Universität Tübingen. 2015 initiierte er eine Ringvorlesung zum Thema Religion und Humor. Ein Gespräch darüber, ob man über Gott Witze machen darf, ob die Bibel langweilig ist. Und warum Gottesdienste nie lustig sind.

Herr Dober, darf man über Religion lachen?

Natürlich darf man über Religion lachen, solange es ein wohlwollendes Lachen ist. Humor und Frömmigkeit können durchaus in Verbindung gebracht werden. Man könnte sogar sagen: Es braucht den Humor, um die Menschlichkeit in der Religion zu bewahren. Grenzen sollte man aber ziehen, sobald es ein Auslachen ist, ein spottendes Lachen. Für mich ist es keine angemessene Art des Humors, eine Religion bewusst klein zu machen. Da geht es dann auch um Fragen der Ehre, um Fragen der Achtung.

Und über Gott? Darf man über den lachen?

Das halte ich grundsätzlich für hochproblematisch. Da verfällt man schnell in einen Ton des Spotts. Aber wie dürfen wir uns Gott vorstellen? Dürfen wir ihn uns vorstellen als ein Gegenüber, das sich eines gutmütigen Lächelns bedient? In Psalm 2, Vers 4 beispielsweise steht: „Gott, der im Himmel wohnt, lacht über den Menschen.“ Spottet Gott hier über den Menschen? Oder ist in diesem Lachen ein wohlwollendes Lächeln zu finden?

Die Bibel scheint eher humorlos zu sein. Kannten die Verfasser keinen Humor?

Doch, sicherlich. Die Bibel hat einige sehr lustige Stellen, die Theologie hat nur in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten dazu beigetragen, dass sie als eher witzlos verstanden wird. Wir müssen ja davon ausgehen, dass jene, die die Bibel geschrieben haben, ebenfalls Humor besaßen. Das ist dann auch in den Text eingeflossen. Das Buch Jona zum Beispiel, in dem der Prophet Jona von einem großen Fisch verschluckt wird, kann man durchaus als Satire, vielleicht sogar als Persiflage eines Propheten verstehen. Und auch im Neuen Testament gibt es Sarkasmus, Ironie, Humor.

Und doch gibt es keine einzige überlieferte Stelle in der Bibel, in der Jesus lacht. War Jesus humorlos?

In der Tat gibt es in der Bibel keine Stelle, die ausdrücklich von einem Lachen Jesu berichtet. Versteht man Humor jedoch so, dass er in einem Spannungsfeld zwischen Selbstdistanz und Empathie spielt, dann war Jesus doch ohne Zweifel ein humorvoller Mensch. Es gibt auch die Idee, die Gleichnisse wie einen Witz zu verstehen: Auch in den Gleichnissen sucht man nach der Pointe.

In der Kirche lacht trotzdem selten jemand. Warum?

Da steht man vor dem gleichen Problem wie die Wissenschaft, der es um Wahrheit geht: Man behandelt in der Kirche einen sehr ernsten Gegenstand. Wie darf man denn, so denken viele, über etwas Heiliges Witze machen? Man muss sich dem doch unterwerfen. Es lässt sich nicht bestreiten, dass die theologische Tradition sich mit Witz, Humor und Verfremdung schwer getan hat. Aber in der Kirche menschelt es doch von vorne bis hinten. Und alles, was menschelt, darf man mit mit Ironie und Humor betrachten.

Unterscheiden sich Religionen in ihrem Humor?

Ich glaube, das ist schwierig festzustellen. In der Ringvorlesung hat auch ein Philosoph aus Marokko über Humor im Islam vorgetragen – man findet ihn auch dort. Aber vor allem der jüdische Humor hat sich natürlich in der Neuzeit sehr stark entwickelt, vor allem aus den Erfahrungen heraus, die die Juden machen mussten. Nach Freud hilft Humor ja auch, das „angefochtene Ich“ zu verteidigen. Humor hilft, mit Enttäuschungen umzugehen. Er hilft aber auch, mit Unterschieden in einer pluralen, auch religiös pluralen, Gesellschaft so umzugehen, dass keiner sich selbst zu ernst nehmen muss.

Hans Martin Dober (58) ist Professor für Praktische Theologie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Im Wintersemester 2015/16 initiierte er eine Ringvorlesung zum Thema „Religion und Humor“ in Tübingen. Im Mai 2017 wird die Dokumentation der Ringvorlesung im Neukirchner Verlag erscheinen.